Gemeinsam forschen im Sonderforschungsbereich „Polymere unter Zwangsbedingungen“
(ein Interview mit dem Sprecher Prof. Dr. Thomas Thurn-Albrecht)
Herr Thurn-Albrecht, die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützt die Erforschung von Polymeren mit mehreren Millionen Euro an den Universitäten in Halle und Leipzig. Wie ist es zu dieser nationalen Förderung gekommen?
Die Polymerforschung in der Region Halle und Umgebung hat eine lange Tradition. Darauf aufbauend haben wir dieses Forschungsgebiet in der Fakultät in den letzten 10 Jahren systematisch erweitert. Durch die Kombination mit neuen Fragestellungen aus dem Bereich der biologischen Polymere ist es uns gelungen die Forschung in Halle deutschlandweit interessant zu machen. Dadurch eröffnete sich für uns auch die Möglichkeit eines großen Forschungsverbundes mit nationaler Förderung. Für unsere neuen Forschungsideen haben wir gemeinsam finanzielle Unterstützung bei der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft, Anm. d. Red.) beantragt und im Juli 2011 konnte unser SFB (Sonderforschungsbereich, Anm. d. Red.) seine Arbeit aufnehmen. Dieser Ansatz hat sich offensichtlich im wahrsten Sinne des Wortes ausgezahlt.
Viele Menschen denken bei Polymeren sofort an Plaste, also alltägliche Kunststoffmaterialien. Woran forschen Sie genau in Ihrem Forschungsverbund?
Kunststoffe sind in der Tat einer unserer Schwerpunkte. Die ganz besonderen Eigenschaften und ihr vielfältiger Einsatz beruhen auf ihrer mikroskopischen Struktur. Eben diese winzigen Strukturen, aus sehr langen Molekülen, untersuchen wir. Wenn wir Grundlagenforscher die Entstehung und den inneren Aufbau der speziellen Strukturen erst einmal verstanden haben, können gezielt neue Eigenschaften erzeugt und neue Kunststoffmaterialien entwickelt werden. Unser zweiter Schwerpunkt beschäftigt sich mit Biopolymeren, also Proteinen bzw. Eiweißen.
Können Sie uns ein konkretes Beispiel Ihrer Forschung im Bereich Biopolymere erläutern?
Eines unserer Projekte beschäftigt sich mit Spinnenseide. Wir stellten uns die Frage, wie es kommt, dass Spinnenfasern in Zähigkeit und Deformierbarkeit vielen künstlichen Fasern überlegen sind. Eine besondere Kombination von festeren und weicheren Bereichen auf der mikroskopischen Ebene spielt hier eine entscheidende Rolle.
Es gibt in der Natur also Vorbilder für Ihre Forschung?
Bei der Polymerforschung ganz klar, denn alle Lebewesen bestehen zu einem großen Teil aus Polymeren. Was wir mit künstlichen Polymeren erreichen, ist in vielen Bereichen nur eine grobe Kopie im Vergleich dazu, was die Natur mit Polymeren realisiert. Denken Sie an die eben erwähnte Spinnenseide.
Was wird durch Ihre Forschung zukünftig möglich sein?
Wir untersuchen die grundlegenden Wechselwirkungen der Bausteine von Proteinen. Die mit diesen Wechselwirkungen verbundenen Ablagerungsprozesse der Eiweiße können im menschlichen Körper eine ganze Reihe von Krankheiten auslösen. Wir hoffen hier Grundlegendes zum Verständnis dieser Prozesse beitragen zu können. Ein Transfer unseres Wissens könnte einmal zur Prävention von Krankheiten oder zu einer geeigneten Behandlungsmethode beitragen.
Wie viele Arbeitsgruppen und Personen sind an dem Zusammenschluss von Forschern zwischen den Universitäten Halle und Leipzig beteiligt?
Unser Forschungsverbund ist sehr interdisziplinär und breit aufgestellt. Insgesamt besteht er aus 15 Gruppen mit 35 Doktoranden aus den unterschiedlichen Bereichen der Chemie und Physik. Inhaltlich reicht unsere Forschung von der Synthese von Polymeren, über deren Simulation im Computer bis hin zur Untersuchung mittels Röntgenstrahlung und starker Magnetfelder.
Welche Rolle spielt Ihr SFB für die beteiligten Universitäten?
Ich denke SFBs allgemein sind aus der heutigen Universitätslandschaft nicht mehr wegzudenken. Durch die finanzielle Unterstützung der DFG können zum Beispiel zusätzliche Forschungsgeräte beschafft werden. Des Weiteren werden, während der Laufzeit des SFB, Arbeitsplätze in der Region geschaffen. Die Unterstützung der Universitätsleitung hat mit zum erfolgreichen Ausbau des Polymerforschungsstandortes Halle beigetragen.
Welche Vorteile ergeben sich darüber hinaus für die lokale Industrie und die Region Halle/ Leipzig?
Wir sind dabei unser Knowhow und unser Lehrangebot in Zusammenarbeit mit der Hochschule Merseburg in den gemeinsamen Masterstudiengang „Polymer Materials Science“ einzubringen. Dies wird dazu beitragen, die benötigten Fachkräfte auch für die lokale Industrie auszubilden.
Ein wichtiges Anliegen ist die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Wo setzt der Sonderforschungsbereich dabei an?
Teil unseres SFB ist das integrierte Graduiertenkolleg, in dem für die Doktoranden und Doktorandinnen ein ergänzendes Ausbildungsangebot bereitgestellt wird. Der Frauenanteil von 40 % zeigt, dass die Naturwissenschaften inzwischen keine reine Männerdomäne mehr sind. Zusätzlich bringen wir uns in den gerade erwähnten internationalen Masterstudiengang ein. Darüber hinaus fördern wir natürlich ganz explizit Nachwuchswissenschaft als Projektleiter.
Eine abschließende Frage: Was ist ein Polymer für Sie?
Eine erstaunliche Erfindung erst der Natur, dann der Chemie, die eine unheimliche Vielfalt an Materialien, Funktionen und Formen bietet. Eine Vielfalt, die wir erst zu einem kleinen Teil verstehen.